Politik 02.03.05
Müssen kinderlose Werkstattbeschäftigte über 22 Jahre den zusätzlichen Beitrag selbst zahlen?
Das Gesetz zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung − Kinderberücksichtigungsgesetz (KiBG) – hat seit Januar 2005 den Beitragssatz für kinderlose Mitglieder der Pflegeversicherung ab dem 23. Lebensjahr um 0,25 Beitragspunkte erhöht. Wegen der dadurch erfolgten Ergänzungen im SGB XI sind Unsicherheiten entstanden, ob Werkstattbeschäftigte den Erhöhungsbeitrag selbst zahlen müssen oder sich auf die unverändert geltende Erstattungsregelungen verlassen können.

Die unterschiedliche Rechtsauffassung dazu resultiert aus folgender Formulierung im Kinder-Berücksichtigungsgesetz - KiBG:

㤠58 Abs. 1 SGB XI
Den Beitragszuschlag für Kinderlose nach § 55 Abs. 3 tragen die Beschäftigten.

§ 59 Abs. 5 SGB XI
Den Beitragszuschlag für Kinderlose nach § 55 Abs. 3 trägt das Mitglied.

§ 60 Abs. 5 ff. SGB XI
Der Beitragszuschlag ... ist von demjenigen zu zahlen, der die Beiträge zu zahlen hat. Wird der Pflegeversicherungsbeitrag von einem Dritten gezahlt, hat dieser einen Anspruch gegen das Mitglied ...“

Einen Vorstoß der Verbände (Bundesvereinigung Lebenshilfe) und der BAG WfbM auf Aufnahme unseres Personenkreises in den gesetzlichen Ausnahmekatalog hat der Vermittlungsausschuß ignoriert. Prinzipiell sind daher auch kinderlose Werkstattbeschäftigte (ob ledig oder verheiratet) von der Erhöhung der Pflegeversicherung betroffen.

Grundsätzlich sind aber die Sozialversicherungsbeträge in Werkstätten erstattungsfähig und -pflichtig, damit Werkstattbeschäftigte nicht aus ihrem geringen Arbeitsentgelt solche Beiträge leisten müssen. Sozialversicherungsbeiträge werden i. d. R. vom fiktiven Gehalt, nämlich 80 % der Bezugsgröße errechnet. Die Rechtsgrundlage für die Pflegeversicherung findet sich im § 59 Abs. 1 und 5 SGB XI in Verbindung mit § 251 SGB V.

Es besteht die rechtliche Unsicherheit, ob der Beitrag vom Beschäftigten selbst aus seinem Arbeitsentgelt geleistet werden muß, oder ob sich der übliche Erstattungsanspruch der Sozialversicherungsbeiträge an den zuständigen Rehabilitationsträger ableiten läßt. Dabei ist strittig, wie die Formulierung im § 59 Abs. 5 SGB XI ausgelegt werden soll, in der u. a. steht: „Den Beitragszuschlag trägt das Mitglied“. Unserer Rechtsauffassung nach hat das „Mitglied“ - hier die Werkstattbeschäftigten -, unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze überhaupt keinen Beitrag aus seinem Arbeitsentgelt zu zahlen. Denn alle Sozialversicherungsbeiträge, auch die der Pflegeversicherung, werden auf der Basis der sogenannten Bezugsgröße errechnet und nicht aus dem Arbeitsentgelt, das i. d. R. unterhalb des Sozialhilferegelsatzes liegt. Daher kann mit dieser Formulierung die Abkehr von der Beitragserstattungspflicht nicht gemeint sein.

Der Gesetzgeber hat mit seinen Formulierungen in den §§ 58 bis 60 SGB XI (s. o.) nur deutlich gemacht, wer die Beiträge zu zahlen hat und nicht, wie sie zu erstatten sind. Denn von der Beitragserhöhung sollten die Arbeitgeber ausgenommen und nur die Versicherten selbst in die Zahlungspflicht genommen werden. Die paritätische Kostentragung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wurde damit aufgegeben, nicht aber das Erstattungsrecht verändert.

Da das Arbeitslosengeld II vom Zuschlag befreit ist und auch Wehr- und Zivildienstleistende keinen Zuschlag zu zahlen haben, wäre die Heranziehung von Werkstattbeschäftigten zudem eine unbillige Härte, die mit dem Benachteiligungsverbot nicht in Übereinklang steht.

Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) teilt uns mit Schreiben vom 16.02.05 dagegen mit:

„Diese Auffassung … widerspricht § 59 Abs. 5 SGB XI, nach dem der Beitragszuschlag für Kinderlose nach § 55 Abs. 3 SGB XI vom Mitglied getragen wird. Da somit die Werkstatt den Beitrag nicht trägt, hat sie auch keinen Erstattungsanspruch nach § 251 Abs. 2 Satz 2 SGB V.“ Ausdrücklich legt das BMGS für den Beitragszuschlag zur Pflegeversicherung und den Zusatzbeitrag in der Krankenversicherung (Zahnersatz) dar: „Den zusätzlichen Beitragssatz trägt der versicherungspflichtige Beschäftigte allein“ und „Damit ist … die Beitragserstattung durch den für die behinderten Menschen zuständigen Leistungsträger ausgeschlossen.

Wir raten unseren Mitgliedern, den Zusatzbeitrag in der Pflegeversicherung gegenüber dem zuständigen Rehabilitationsträger - genauso wie die sonstigen Sozialversicherungsbeiträge - geltend zu machen. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, frühzeitig die Erstattungsansprüche für Zusatzbeiträge in der Krankenversicherung (ab Juli 2005 für Zahnersatz und Krankengeld) zu klären.

Wir haben unsere Rechtsanwaltskanzlei um fachanwaltliche Überprüfung dieser Rechtsnormen und der juristischen Klärung beauftragt, ob Werkstattbeschäftigte tatsächlich Beitragszuschläge selbst aus ihrem Arbeitsentgelt finanzieren müssen.

Wir empfehlen unseren Mitgliedern, vorsorglich schriftlich Widerspruch einzulegen, falls der zuständige Rehabilitationsträger die Kostenübernahme verweigert.

Rechtsgrundlagen: Der § 59 SGB XI bezieht sich in Abs. 1 auch auf die Regelungen des § 251 SGB V

§ 59 Beitragstragung bei anderen Mitgliedern

(1) Für die nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 bis 11 versicherten Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, gelten für die Tragung der Beiträge die §§ 250 Abs. 1 und § 251 des Fünften Buches sowie § 48 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte entsprechend; die Beiträge aus der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung sind von dem Mitglied allein zu tragen. Bei Beziehern einer Rente nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte, die nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 versichert sind, und bei Beziehern von Produktionsaufgaberente oder Ausgleichsgeld, die nach § 14 Abs. 4 des Gesetzes zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit versichert sind, werden die Beiträge aus diesen Leistungen von den Beziehern der Leistung allein getragen. Im den nachfolgenden Regelungen des SGB V

§ 251 Tragung der Beiträge durch Dritte

(1) Der zuständige Rehabilitationsträger trägt die auf Grund der Teilnahme an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie an Berufsfindung oder Arbeitserprobung (§ 5 Abs. 1 Nr. 6) oder des Bezugs von Übergangsgeld, Verletztengeld oder Versorgungskrankengeld (§ 192 Abs. 1 Nr. 3) zu zahlenden Beiträge.

(2) Der Träger der Einrichtung trägt den Beitrag allein

1. für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 versicherungspflichtigen Jugendlichen,

2. für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 oder 8 versicherungspflichtigen behinderten Menschen, wenn das tatsächliche Arbeitsentgelt den nach § 235 Abs. 3 maßgeblichen Mindestbetrag nicht übersteigt; im übrigen gilt § 249 Abs. 1 und Abs. 3 entsprechend. Für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 versicherungspflichtigen behinderten Menschen sind die Beiträge, die der Träger der Einrichtung zu tragen hat, von den für die behinderten Menschen zuständigen Leistungsträgern zu erstatten.



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