Politik 04.03.03
Der stillen Revolution vom 1. Juli 2001 folgte 2003 ein Jahr der Restauration.
Seit dem 1. Juli 2001 gibt es keine "Werkstätten für Behinderte" mehr. Diese von vielen als diskriminierend empfundene Bezeichnung hat der Deutsche Bundestag mit dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) für alle Rechtsnormen verbindlich in "Werkstätten für behinderte Menschen" geändert. Das sollte mehr sein als sprachliche Kosmetik. Damit sollte hervorgehoben werden, daß auch die Werkstattbeschäftigten Menschen sind. In der deutschen Geschichte war man gegenüber voll und dauerhaft erwerbsgeminderten Erwachsenen nicht immer dieser Meinung. Mit dem SGB IX wurde der Rechtsanspruch auf "Selbstbestimmung", Teilhabe am gesellschaftlichen und am Arbeitsleben gesetzlich festgelegt. Damit wurde ein geradezu revolutionärer Schritt hin zur gesellschaftlichen Akzeptanz von schwerbehinderten Menschen getan, die jahrhundertelang als unnütze Esser galten.

Das SGB IX, das der Deutsche Bundestag am 6. April verabschiedet und dem der Bundesrat am 11. Mai 2001 zugestimmt hatte, ist ein sogenanntes Artikelgesetz. Es ist nicht nur ein umfangreiches neues Rehabilitationsgesetz, sondern wirkt auch auf 62 andere Rechtsnormen, verändert oder ergänzt sie. Von seinen insgesamt 160 Paragraphen schaffen die §§ 39 bis 43 und 136 bis 142 neue und bessere Arbeitsbedingungen für die Werkstätten und nachhaltige Einflußmöglichkeiten für die Werkstattbeschäftigten. Bewährtes Recht wurde den sozialen Veränderungen angepaßt und novelliert, darunter die Werkstättenverordnung von 1980.

Ergänzend zum SGB IX hat die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates eine Mitwirkungsverordnung (WMVO) für die Werkstatträte verabschiedet, die diesem Interessenvertretungsorgan der Werkstattbeschäftigten weitgehende Einflußnahme einräumt und bessere Teilhabe an den Entscheidungen der Werkstattleitungen ermöglicht.

Zeitgleich hat die Bundesregierung eine Fortbildungsverordnung für die Fachkräfte in den Werkstätten erlassen, um das Qualifikationsniveau weiterzuentwickeln. Die Fort- und Weiterbildung des Fachpersonals war seit 1980 ausgesprochenes Ziel der Werkstättenverordnung und ist ein zentrales Anliegen der Werkstattträger.

Die kleine und stille Revolution aber haben die §§ 43 SGB IX und 43 BSHG ausgelöst. Der erste gewährt den Werkstattbeschäftigten zusätzlich zum selbst erwirtschafteten und deshalb geringen Arbeitsentgelt ein Arbeitsförderungsgeld aus Sozialhilfemitteln von 26 EUR im Monat, der zweite beendet endlich die Benachteiligung, daß Werkstattbeschäftigte einen Anteil ihrer Eingliederungskosten an den staatlichen Kostenträger erstatten müssen. Damit ist der erste Schritt getan, um Werkstattbeschäftigte mit Rehabilitanden in anderen Eingliederungseinrichtungen finanziell gleichzustellen. Zwar machen selbst Arbeitsentgelt und Arbeitsförderungsgeld nur einen Bruchteil des Ausbildungs- und Übergangsgeldes anderer Rehabilitandengruppen aus, aber es ist ein politisches Signal. Einen deutlichen Schwerpunkt hat der Gesetzgeber auf die Vermittlung von Werkstattbeschäftigten ins Erwerbsleben gesetzt. Dafür hat er die Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeit auf die Werkstattbeschäftigten ausgedehnt, die Aufgaben des amtlich geregelten Fachausschusses bei der Werkstatt entsprechend ausgedehnt und die Verpflichtung der Werkstätten unterstrichen, Maßnahmen zum Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt anzubieten und ihn für befähigte Beschäftigte auch zu ermöglichen.

Die Rolle der Bundesanstalt für Arbeit war bisher schon sehr weitgehend: Ihr wurde schon 1980 die Aufgabe als Anerkennungsbehörde für die Werkstätten rechtlich zugeteilt. Zudem ist sie als Kostenträger für die Finanzierung des Eingangsverfahrens und den Berufsbildungsbereiches in den Werkstätten zuständig. Zudem spielt sie im Fachausschuß bei den Werkstätten eine wesentliche Rolle. Ihre seit zwei Jahren erweiterte Aufgabe, auch für die Vermittlung von Werkstattbeschäftigten ins Erwerbsleben zuständig zu sein, hat sie bisher nicht wahrgenommen.

Seit Beginn des Jahres 2003 und als Folge der Umstrukturierungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit hat der neue Behördenvorstand die Funktion einer Abbruchfirma übernommen: Trotz nach wie vor geltenden Rechts ist sie ihrer Finanzierungspflicht bei Neubauten von Werkstätten nicht mehr nachgekommen. Obwohl sie nur rund 10 % des Finanzierungsvolumens beizusteuern hat - und das auch nur als Darlehen bereitstellt - hat sie ihre Zahlungen eingestellt. Dadurch blockiert sie die Mittel der anderen staatlichen Zuschußgeber.

Inzwischen weisen Arbeitsämter auch schwerbehinderte Erwachsene zurück, die ihren Platz in einer Werkstatt suchen. Schließlich hat die Behörde damit begonnen, Werkstattbeschäftigten im Berufsbildungsbereich das gesetzlich vorgeschriebene zweite Förderjahr zu verweigern.

Die Bundesanstalt für Arbeit macht mit ihrer rechtlich nicht gedeckten Verweigerungshaltung deutlich, daß sie sich von einem leistungsberechtigten Personenkreis trennen will, der nicht am Erwerbsleben teilnehmen kann und ein Arbeitsleben lang auf Förderung in dafür spezialisierten und qualifizierten Einrichtungen angewiesen ist. Damit tritt sie entschieden dem gesetzgeberischen Willen entgegen, der ihre Zuständigkeit in der beruflichen Förderung und Rehabilitation für die voll erwerbsgeminderten aber auf ein geschützte Arbeitsleben angewiesenen schwerbehinderten Erwachsenen gewollt und in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts durchgesetzt hatte.

Die BAG WfbM setzt sich gegen diese rechtlich fragwürdige Haltung der Bundesanstalt für Arbeit zur Wehr und wird die Öffentlichkeit weiterhin informieren, ob und inwieweit die staatlichen Kostenträger ihre gesetzliche Leistungspflicht erfüllen.


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