Diesen Artikel an Freunde versenden
Email des Empfängers:
Email des Senders:
Name des Senders:

Mehr Beschäftigte sollen außerhalb der Werkstätten arbeiten
Rahmenzielvereinbarung zwischen Landschaftsverband und Freier Wohlfahrtspflege

Menschen mit geistigen, körperlichen
oder psychischen Behinderungen arbeiten
in 60 Werkstätten in Westfalen-Lippe.
Foto: LWL
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und die westfälischen Spitzenverbände der Freien Wohlfahrt wollen bis 2010 mehr Menschen als bisher außerhalb der Werkstätten für behinderte Menschen Arbeit verschaffen. Eine solche Vereinbarung ist neu in Deutschland.

„Oft sind die Werkstätten die einzige Möglichkeit für behinderte Menschen, eine sinnvolle Beschäftigung zu finden - aber nicht immer“, sagte LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch am Freitag (19.10.) in Dortmund bei der Unterzeichnung der Vereinbarung. Der LWL und die westfälischen Wohlfahrtsverbände wollen Werkstattbeschäftigten Alternativen zur Werkstatt öffnen. Kirsch: „Integration heißt: Wer auf den ersten Arbeitsmarkt paßt, sollte dort auch arbeiten.“

Nach Berechnungen des LWL könnten innerhalb der nächsten drei Jahre (Vereinbarungszeitraum 2008 bis 2010) rund 900 Werkstattbeschäftigte in Betriebe wechseln oder nach der Schule gar nicht erst in eine Werkstatt gehen. Weitere 1.200 der insgesamt 35.000 Werkstattbesucher in Westfalen-Lippe könnten bis 2010 auf Werkstattplätzen arbeiten, die aber in Firmen des ersten Arbeitsmarktes ausgelagert würden. Die Einsparung aus der Vereinbarung bezifferte Kirsch auf insgesamt zehn bis 15 Millionen Euro.

Diözesan-Caritas-Direktor Volker Odenbach betonte, daß die Werkstätten ein unverzichtbares Angebot zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben darstellten. Odenbach: „Die Werkstätten sind ein Erfolgsmodell, da sie auch schwermehrfach behinderte Menschen integrieren. Wir müssen die Leistungsfähigkeit der Werkstätten sichern, auch dadurch, daß wir behinderten Menschen neue Angebote zur Teilhabe am Arbeitsleben außerhalb der Werkstatt ermöglichen.“ Gelingen könne dies letztlich aber nur dann, wenn auch die Bundesanstalt für Arbeit ihren Beitrag dazu leiste und über Kombi-Lohn-Modelle Arbeit finanziert werde.

Die Freie Wohlfahrtspflege betreibt 60 Werkstätten in Westfalen und Lippe, der LWL leistet den Nachteilsausgleich für die Beschäftigten mit jährlich rund 350 Millionen Euro. Jedes Jahr kommen 1.000 neue Werkstattbesucher dazu. Ein Platz in der Werkstatt kostet nach Angaben des LWL im Durchschnitt 33 Euro am Tag.

Nach der Vereinbarung wollen die Vertragspartner LWL und die Freie Wohlfahrtspflege (Arbeiterwohlfahrt, Diakonie, Caritas, Der Paritätische) zum Beispiel stärker mit Integrationsfirmen zusammenarbeiten und neue Projekte gründen. Werkstätten sollen mit Unterstützung des LWL-Integrationsamtes Betriebe ansprechen und neue Arbeitsplätze akquirieren oder Werkstattplätze auslagern.

Der LWL leistet für 31.000 Menschen
in Werkstätten einen Nachteilsausgleich.
Foto: LWL
Beim Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt sollen in allen Werkstätten „Integrationsassistenten“ helfen. Schon vor dem Eintritt in eine Werkstatt werden die beratenden Gremien (Fachausschüsse) prüfen, ob für einen Menschen mit Behinderung neben der Werkstatt ein anderer Berufsweg möglich ist. Stärker als bisher soll in Zukunft in den Werkstätten Teilzeitarbeit möglich sein.

Seit dem Jahr 2000 arbeiten rund 8.000 Menschen mehr als vorher in westfälischen Werkstätten (plus 30 Prozent). Insgesamt sind in Westfalen-Lippe aktuell rund 35.000 (NRW: 64.000) Menschen in Werkstätten beschäftigt.

Der vielbeschriebene Paradigmenwechsel mit dem Inkrafttreten des SGB IX im Jahre 2001 fordert den individuellen Anspruch des behinderten Menschen auf Maßnahmen zur selbstbestimmten Teilhabe am Arbeitsleben. In diesem Zusammenhang ist auch die Einführung des persönlichen Budgets zu sehen. Auf der anderen Seite steht die Finanzlage der kommunalen Haushalte.

Erklärtes Ziel der Vereinbarung ist es, „Maßnahmen und Rahmenbedingungen zu vereinbaren, die zur Dämpfung der Fall- und Kostenentwicklung beitragen“.

Die Vereinbarung will die:
  • Deckung des individuellen Hilfebedarfes
  • Wahrung des Rechtsanspruches auf eine Beschäftigung in der Werkstatt
  • Fortführung der Beschäftigung von Menschen mit schweren und schwersten Behinderungen in Werkstätten
Einzelziele sind dabei:
  • Vorrangige Förderung und Integration behinderter Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt anstelle einer Werkstattaufnahme
  • Verbesserung der Voraussetzungen für den Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt zur Steigerung der Vermittlungsquote
  • Verbesserte Beratung und Berufswegeplanung
  • Qualifizierung der Fachausschüsse
  • Akquise und Schaffung alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
  • Schaffung eines erweiterten und binnendifferenzierten Angebots in Werkstätten (z. B. durch Außenarbeitsplätze, Teilzeitbeschäftigung)
Fallzahl- und Kostenbegrenzungen sollen erreicht werden:
  • durch Umsteuerung und damit eine Reduzierung der Fallzahlzugänge
  • durch eine größere Anzahl von Übergängen in den allgemeinen Arbeitsmarkt nach Maßnahmen in Übergangsgruppen und dadurch mit kurz- und langfristigen finanziellen Effekten,
  • durch Außenarbeitsplätze und -gruppen
  • durch alternative Beschäftigungsmöglichkeiten
  • durch erweitere Teilzeitbeschäftigung
  • bei den Fahrtkosten sowie
  • bei den Investitionskosten
Der LWL will somit die Fallzahlen reduzieren und geht davon aus, daß in den Werkstätten Menschen beschäftigt sind, die dort nicht sein müßten.

Das Einzugsgebiet der Werkstätten
in Westfalen-Lippe.
Einen besonderen Fokus legt die Vereinbarung auf den Personenkreis der psychisch behinderten Menschen, für die es zu wenige und flexible Alternativen zur Werkstatt gäbe. Hierzu zählen niedrigschwellige Beschäftigungsangebote, tagesstrukturierende Angebote (z. B. für ältere behinderte Menschen). Teilzeit und Möglichkeiten des Job-Sharings sollen ebenfalls verstärkt angeboten werden.

In den kommenden zwölf Monaten soll insbesondere zum Thema Teilzeit ein neues Vergütungssystem (auch im Hinblick auf das Persönliche Budget) entwickelt werden.

Bis zum 31.12.2008 sollen darüber hinaus in allen Werkstätten Integrationsassistenten eingesetzt werden, die u. a. für die Akquise und Begleitung entsprechender Arbeitsplätze zuständig sind. Eine Refinanzierung durch den Kostenträger ist möglich, der Einsatz von Drittmitteln aber ausdrücklich gefordert. Eine engere Zusammenarbeit mit den regionalen IFD wird ebenfalls gefordert und ist Kooperationsvereinbarungen zu beschreiben.

Die Einführung und Finanzierung eines internen Integrationsassistenten ist seit langem Forderung der Werkstätten, auch als Ergebnis verschiedener Projekte, die gezeigt haben, daß eine Vermittlung am ehesten aus der Werkstatt heraus und mit der Begleitung durch Werkstatt geschieht. Die Frage der Re-Finanzierung ist in der Vereinbarung ungenügend gelöst, letztlich zuständig ist jedoch der Kostenträger.

Der Zugang zur Werkstatt soll besser gesteuert werden. Es wird kein Wunsch- und Wahlrecht zwischen Leistungen in einer Werkstatt und Leistungen auf dem ersten Arbeitsmarkt geben. Auch hier geht der LWL wiederum davon aus, daß es eine maßgebliche Fehlbelegung in den Werkstätten gäbe.

Des weiteren sieht die Vereinbarung eine Erweiterung des regionalen Angebots der Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung vor. Hierzu sollen Vernetzungen zu Bildungsträgern geschaffen werden gegebenenfalls unter federführender Rolle der Werkstätten, in denen die Kompetenzen vorhanden sind und genutzt werden sollten.

Dem Eingangsverfahren wird für den Fall nicht einvernehmlicher Entscheidungen des Fachausschusses die Rolle eines Assessments gegeben. Hierzu sollen noch gesonderte Vereinbarungen zu Verfahren und Instrumenten getroffen werden.

Erwartet werden von der Vereinbarung Einsparungen von 10 -15 Mio. Euro für den Zeitraum 2008 – 2010 (Ende der Vereinbarung).


<< Zurück Seite drucken Diesen Artikel per Email versenden