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Das Mittagessen und seine Funktionen
Immer wieder gibt es Bundesländer, die überlegen, das Mittagessen in der Werkstatt auf die Grundsicherung anzurechnen. Diese Frage ist zur Zeit auch in diversen gerichtlichen Vorinstanzen anhängig und es gibt – teils widersprüchliche – Vorentscheidungen. Das Mittagessen dient natürlich der Ernährung: Ein gutes, gesundes, abwechslungsreiches, vitaminreiches, ausreichendes und tägliches Mittagsbrot braucht der Mensch. Nicht nur um die Arbeitskraft zu erhalten. Die Kosten pro Essen dürften sich jedoch in jedem Fall auf mehrere Euro belaufen.

Die warme und oftmals fleischhaltige Hauptmahlzeit des Tages wird in Deutschland zur Mittagszeit zwischen 12 und 14 Uhr eingenommen, während am Abend als Abendbrot eher eine kalte Speise üblich ist. Übrigens sind Zeitpunkt und Umfang dieses Mittagsmahls von kulturellen Gepflogenheiten und individuellen Gewohnheiten geprägt. In anderen Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien wird die Hauptmahlzeit abends eingenommen und ist immer warm, mittags gibt es nur eine kleinere Zwischenmahlzeit.

In den Werkstätten jedoch hat das gemeinsame Mittagessen weit mehr Funktionen. Das Mittagessen ist integraler Bestandteil der Eingliederungsmaßnahme. Neben der „banalen“ Energiezufuhr finden hier Unterstützungsleistungen statt. So die Begleitung zum Speisesaal, die Unterstützung bei der Speisenauswahl, Hilfen bei der Vorbereitung sowie während der Mahlzeit, Begleitung der Kommunikation bei Tisch (ästhetische Bildung), Anreichen von Speisen, Säubern und Reinigen von Speiseresten oder Getränken. Die „Hilfe zum Lebensunterhalt“ enthält hingegen nur die Kosten für das Essen als solches - nicht für den angeleiteten Prozeß. Dieser ist aber maßgeblich.

Die Kostenträger vergessen, welcher Personenkreis in den Werkstätten betreut wird: nämlich Menschen, die z. T. in allen Bereichen auch des täglichen Lebens auf Unterstützung angewiesen sind, und die auch deshalb Leistungen aus einer Hand und durch vertraute Mitarbeiter benötigen.

Inzwischen gibt es recht „kreative“ Vorschläge: In Brandenburg wird gerade überlegt, die Kosten von 2,42 pro Mittagessen aufzuteilen: in einen „Sockelbetrag“ und einen Teilnehmer-Beitrag. Hier ergeben sich nur ein paar grundsätzliche Fragen:
  1. Wo bekommt man ein Mittagessen für 2,42 Euro bzw. einen Teilbetrag davon?
  2. Wenn der Kostensatz aufgeteilt wird, ist das doch eine „Regelung zu Lasten Dritter“?
  3. Der Kostensatz ist pauschaliert. Kostenteile können keinesfalls willkürlich auf die Grundsicherung angerechnet werden.
  4. In die in der Werkstatt zu erbringenden (und in der Kalkulation zu berücksichtigenden) Teilhabeleistungen fließen eben nicht nur der materielle Wert der Essensanteile ein, sondern eine Vielzahl weiterer Leistungen. Diese Leistungen sind individuell zu erbringen, so will es der Gesetzgeber.
  5. Die Höhe der Summen: Vor dem Hintergrund der voneinander zu trennenden Leistungsarten Eingliederungshilfe und Grundsicherung ist unklar, warum bei den materiellen Kostenanteilen des Mittagessens in der Werkstatt die Sätze der Grundsicherung und nicht einer anderen bundeseinheitlichen Regelung herangezogen werden. So berechnet das Bundesreisekostengesetz für ein Mittagessen 40 Prozent des vollen Tagessatzes, mithin 9,60 Euro. Der tatsächliche Wert kann nur unter Berücksichtigung der real erbrachten Teilhabeleistung erfolgen.
  6. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Werkstatt sind seit der Reform des Schwerbehindertengesetzes am 1. August 1996 für den behinderten Menschen kostenfrei.
  7. Das Argument der Bagatellbeträge: Immer wieder hört man, jeder – also auch der Werkstattbeschäftigte – habe sich angemessen zu beteiligen. Hier handele es sich doch nur um geringe Beträge. Das ist relativ. Bei einem „Einkommen“ von 93 Euro (67,00 + 26,00 Arbeitsförderungsgeld) monatlich stellen sich 1 oder 2 Euro pro Tag (also 25 bis 50 Euro im Monat) anders dar, als bei dem Einkommen beispielsweise der zuständigen Sachbearbeiter.
  8. Die Kostenbeteiligung würde zu einem gewaltigen Verwaltungsaufwand führen. Das Arbeitsentgelt wird bei der Berechnung von Grundsicherungsansprüchen berücksichtigt. Sofern die Beschäftigten ihre Mahlzeiten - zu unrecht – auch nur teilweise selbst finanzieren müßten, reduziert sich das monatliche Arbeitsentgelt. Das hat Auswirkungen auf die Berechnung des Freibetrages und auch auf den einzubringenden Anteil bei der Wohnheimfinanzierung.
  9. Erschwerend kommt hinzu, daß der individuelle Kostenanteil nur von den Beschäftigten abzufordern ist, die Grundsicherungsleistungen erhalten. Nun wissen aber die Werkstattträger weder, welche der Beschäftigten Grundsicherung beziehen, noch dürfen sie diese Informationen einzufordern. Schon aus Datenschutz verbietet sich eine solche Erhebung.
Eine selbstbestimmte Teilhabe aller Werkstattbeschäftigten am Leben in der Gemeinschaft ist das Ziel des vielbeschworenen Paradigmenwechsels. Hier sieht es so aus, daß die Teilhabe aus Kostengründen eingeschränkt wird.


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