Panorama 14.07.07
Altkleidersammlung - Hilfe für andere?
Wem wird geholfen?
Wem wird geholfen?
Immer wieder erreichen uns Meldungen, daß potentiellen Kunden per Telefon oder auch an der Haustür angebliche Waren aus Werkstätten für behinderte Menschen angeboten werden. Diese Masche führt leider oft auch zu einem Kauf, häufig von Waren mangelhafter Qualität, dafür aber völlig überteuert. Solche Anbieter spielen mit dem schlechten Gewissen von uns, die wir doch das Gefühl haben, trotz aller Klagen gehe es uns nicht richtig schlecht.

Ganz eindeutig: Werkstätten verkaufen keine Waren an der Haustür oder per Telefon. Wenn Sie Produkte aus Werkstätten erwerben wollen, finden Sie in der Werkstatt an Ihrem Ort bestimmt einen Werkstattladen. Manche Werkstatt bietet Erzeugnisse ihrer Beschäftigten auch im Internet an.

Auch im Zusammenhang mit Altkleidersammlungen gibt es immer wieder Irritationen: Es tauchen Vereine auf, die angeblich bedürftigen Menschen helfen. Doch was hat damit wirklich auf sich?

In Essen hat sich 1994 ein Verein gegründet, der für mehr Transparenz im Altkleidermarkt eintritt. Die angeschlossenen Organisationen haben sich auf verbindliche Standards bei ihren Kleidersammlungen verpflichtet. Der Werkstatt:Dialog führte ein Interview mit dem Geschäftsführer des Dachverbandes FairWertung, Andreas Voget, Essen.

Herr Voget, wer oder was ist FairWertung?
    Wer Kleidung sammelt, übernimmt auch eine Verantwortung für deren ordnungsgemäße Verwertung. Aus dieser Überzeugung heraus gründete eine Handvoll Organisationen 1994 den Dachverband FairWertung e.V. Sein Ziel: die Vermarktung von Gebrauchtkleidung für die angeschlossenen Organisationen, aber auch für die Verbraucher durchschaubar zu machen.

    Angesichts einer zunehmenden Zahl von dubiosen Sammlungen und fragwürdiger Sammelpraktiken hat FairWertung Kriterien für eine faire Sammlung und Vermarktung von Gebrauchtkleidung entwickelt. Organisationen, die sich vertraglich zur Einhaltung dieser Kriterien verpflichten, dürfen mit dem Zeichen FairWertung bei ihren Sammlungen werben.

    Geschäftsführer
    des Dachverbandes
    FairWertung,
    Andreas Voget.
    Neben der Arbeit an inhaltlichen Standards erstellt FairWertung Informationsmaterialien, z. B. über den weltweiten Handel mit Gebrauchtkleidung, aber auch über dubiose Sammlungen.
Man sieht an vielen Orten Behälter für Altkleider. Tun wir Gutes, wenn wir hier unsere nicht mehr gebrauchten Sachen abgeben?
    Jedes Jahr werden mehr als 600.000.000 kg Textilien in die Kleidersammlung gegeben - das sind mehr als 45.000 voll beladene Eisenbahnwaggons. Es geht also auch um eine Entsorgungsproblematik. Die Erwartung, daß alle ausrangierten Textilien für soziale Arbeit verwendet werden ("nur an Bedürftige") ist also vollkommen unrealistisch.

    Die Kleidung aus Containern und Straßensammlungen, aber auch die Überschüsse aus Kleiderkammern werden an Recyclingfirmen verkauft, die die Sammlungen sortieren und die Textilien je nach Qualität als Secondhand-Kleidung, Putzlappen oder Rohstoffen weiterverkaufen.

    Gebrauchtkleidung ist also schon lange ein Wirtschaftsgut. Viele karitative Organisationen erwirtschaften seit Jahren mit Kleidersammlungen Mittel für ihre Arbeit. Das ist auch gar nicht zu beanstanden - solange nicht mit Bedürftigkeit geworben oder fragwürdige Praktiken wie z. B. der Logoverkauf angewendet werden.
Das heißt aber auch, daß es ein handfestes wirtschaftliches Interessen an diesen Sachen gibt. Oftmals wird man aber aufgefordert, seine alten Sachen abzugeben, weil man so bedürftigen Menschen helfen würde.
    FairWertung kritisiert insbesondere zwei Dinge: Zum einen informieren viele Organisationen nicht ehrlich darüber, daß die gesammelte Kleidung an Recyclingfirmen verkauft wird. Statt dessen wird häufig suggeriert, daß alles selbst verwendet wird - das ist unlautere Werbung. Ein weiteres Problem sind aber kleine gewerbliche Firmen, die unter erfundenen Vereinsnamen agieren oder angeblich Sammlungen zugunsten eines bestimmten Vereins durchführen. Auffällig ist, daß sowohl bei den Vereinsnamen als auch in den Sammelaufrufen bewußt emotional besetzte Begriffe wie z. B. Not, Opfer oder Hilfe verwendet werden. Insbesondere der Begriff "behindert" wird immer wieder im Vereinsnamen verwendet, um "auf die Tränendrüse zu drücken" und so die Menge der gesammelten Kleidung zu steigern.
Uns hat vor kurzem eine Anfrage erreicht, bei dem ein "Verein zur Kontaktpflege mit Behinderten e. V." um rege Beteiligung bei einer Altkleidersammlung bittet. Der Verein, so heißt es im Flugblatt, "hilft Behinderten". Was sagen Sie dazu?
    Der Verein ist offensichtlich nicht als gemeinnützig anerkannt und es ist fraglich, ob es die genannten Vereinsaktivitäten tatsächlich gibt. Hinter diesem Verein steht vermutlich ein Geschäftsmann, der auch unter anderen Vereinsnamen Kleidersammlungen durchführen läßt.
Und was ist mit dem "Club für Behinderte in Brasilien"? Kennen Sie den?
    Der Verein existiert tatsächlich und er ist auch als gemeinnützig anerkannt. Auf unsere Nachfrage, was der Verein tatsächlich macht und wie das Geld verwendet wird, hat der Verein (oder sind es nur einige wenige Personen?) erst nach drei Briefen reagiert.

    Er ist aber bis heute stichhaltige Nachweise schuldig geblieben, wer bzw. welche Projekte tatsächlich unterstützt werden und was mit dem Erlös aus Kleidersammlungen passiert. Dazu kommt, daß dieser Verein ausschließlich im Zusammenhang mit Sammlungen auftaucht, bei denen Sammeltonnen oder Wäschekörbe vor die Haustür gestellt werden. Es wird also eine bewußt aufdringliche Sammelform eingesetzt, bei der eigentlich vorher die Zustimmung des Grundstückbesitzers eingeholt werden muß. Wir halten diese Sammelform daher für äußerst fragwürdig. Aber genau das hat System: aggressiv sammeln, emotional werben und verschleiern, daß die Kleidung verkauft wird.
Wohin gehen dann die Altkleider, die man noch verwenden kann?
    Secondhand-Kleidung, aber auch textile Rohstoffe und Putzlappen sind heute weltweit gehandelte Artikel. Die Sortierbetriebe, die Secondhand-Kleidung aus Kleidersammlungen aussortieren, verkaufen die Kleidung insbesondere nach Osteuropa und Afrika, zunehmend aber auch in den Mittleren Osten. Wir beobachten, daß die weltweite Nachfrage nach Secondhand-Kleidung armutsbedingt immer weiter zunimmt. Die Exportmengen in die genannten Regionen sind in den letzten 10 Jahren kontinuierlich gestiegen - genau wie die Menge der in Deutschland gesammelten Kleidung.
Tun wir den Menschen z. B. in Afrika etwas Gutes?
    FairWertung hat ein zweijähriges Programm durchgeführt, in dem kirchliche Partner und Nichtregierungsorganisationen in verschiedenen afrikanischen Ländern gefragt wurden, wie sie Gebrauchtkleidung beurteilen. Die Antworten waren auf für uns überraschend eindeutig: Secondhand-Kleidung ist insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen die preisgünstigste Möglichkeit, sich Kleidung zu beschaffen. Die Alternative in vielen Ländern besteht heute in Neukleidung aus chinesischer Produktion (häufig aus Kunstfasern bzw. von minderer Qualität) oder Secondhand-Kleidung. Viele Konsumenten entscheiden sich auch deshalb für Secondhand-Kleidung, weil sie qualitativ besser ist als neue Billigkleidung. Interessanterweise war vielen unserer Dialogpartnern in Tansania die Diskussion in Deutschland über mögliche schädliche Auswirkungen von Altkleiderexporten nach Afrika bekannt - sie wurde aber von ihnen als europäisch-theoretisch und an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen vorbeigehend charakterisiert.
Was empfehlen Sie Menschen, die auch mit ihren alten Kleidern etwas Sinnvolles tun und vielleicht anderen Menschen helfen wollen?
    Wer eine Kleiderkammer oder ein Textilprojekt in seiner Nachbarschaft hat, sollte die Sachen dort vorbei bringen. Grundsätzlich sollte Kleidung nur an seriöse Organisationen abgegeben werden, also an Organisationen, die transparent arbeiten, ehrlich informieren und auch verantwortlich vermarkten. Alle Organisationen, die sich auf unsere Standards verpflichtet haben, sind am Zeichen FairWertung auf Kleidercontainern und Sammelaufrufen zu erkennen.

    Leider lassen sich auch viele gemeinnützige Einrichtungen, die Kleidersammlungen durchführen, nicht wirklich in die Karten schauen. Wir möchten daher ausdrücklich dazu ermutigen, bei den Sammelorganisationen hartnäckig nachzufragen: Wieviel wird gesammelt? Was passiert damit? Ist bekannt, wo die Kleidung sortiert wird?
An wen kann man sich wenden, wenn man Zweifel an einer Sammlung hat?
    Wir haben auf unseren Internetseiten www.fairwertung.de externer Link Informationen über so genannte dubiose Sammlungen eingestellt. Wir sind guter Hoffnung, daß sich auch die Verbraucherzentralen stärker um dieses Thema kümmern.
Sehr geehrter Herr Voget, vielen Dank für das Gespräch. Vieles ist nun klarer geworden.


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