Arbeitswelt 15.10.09
Der Wert der Arbeit
In den Debatten hierzulande wird Arbeit immer noch stark als Erwerbsarbeit definiert, ohne die Sphäre der Privathaushalte zu berücksichtigen. Dabei ist die Grenze zwischen Arbeit und Privatem längst aufgehoben, sagen Forscher. Was wir tun, definiert unseren Status: Geisteswissenschaftler untersuchen nun die Bedeutung von Arbeit in globalgeschichtlicher Perspektive.

„Du kannst nicht acht Stunden am Tag essen, nicht acht Stunden am Stück trinken und auch nicht acht Stunden Liebe machen – alles was du acht Stunden hintereinander tun kannst, ist arbeiten. “ Diese von Literaturnobelpreisträger William Faulkner formulierte Einsicht verweist auf die Tatsache, dass „Arbeit“ in der menschlichen Existenz einen ganz zentralen Platz einnimmt. Wenn der Wahlkampf in Deutschland über die Parteigrenzen hinaus eines deutlich gemacht hat, dann den Umstand, dass das Thema Arbeit auch in unserer Gesellschaft als eines der Schlüsselprobleme gilt, dem nahezu alle anderen Fragen nachgeordnet sind.

Erfolg oder Scheitern, im politischen wie im persönlichen Bereich, werden hierzulande auf das Engste mit dem Begriff Arbeit verbunden. Unsere Arbeit definiert unseren Status, und zwar je nach lebensweltlicher Verankerung sogar stärker als Reichtum oder Einkommen, mit dem die Arbeit hierzulande freilich meist sehr eng verknüpft ist.

Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMBF) hat im Rahmen seines Programms „Freiraum für Geisteswissenschaften“ an der Humboldt-Universität ein Internationales Geisteswissenschaftliches Kolleg zum Thema „Arbeit und Generation in globalgeschichtlicher Perspektive“ mit einer Fördersumme von zehn Millionen Euro bewilligt. Es hat am 1. Oktober seine Arbeit aufgenommen.

Unter der Leitung des Afrika-Historikers Andreas Eckert wird es für zunächst sechs Jahre den Versuch unternehmen, erstmals systematisch eine globalhistorische Perspektive auf das Thema „Arbeit“ zu entfalten. „Was wir heute unter dem Begriff Arbeit verstehen und angesichts einschneidender Veränderungen neu zu konzipieren versuchen, wird noch immer sehr stark bestimmt durch die Bedingungen, die die industrielle Entwicklung und die Arbeiterbewegung den modernen Gesellschaften aufgeprägt haben“, sagt Eckert.

Was aber ist neu am Thema „Arbeit“?

Die vermeintliche Eindeutigkeit des Begriffs lässt leicht übersehen, dass „Arbeit“ eine riesige Bandbreite von Tätigkeiten und Konzepten umfasst, die mit ganz unterschiedlichen Erfahrungshorizonten verknüpft sind. In den Debatten hierzulande ist in der Regel von einem sehr reduzierten Arbeitsbegriff die Rede, nämlich von Erwerbs- oder Lohnarbeit, die mehr oder weniger eindeutig, etwa von der Haushaltssphäre, getrennt wird. „Allerdings deckt sich diese Trennung nicht mehr mit den Erfahrungen, die viele Menschen heute machen. Es stellt sich die Frage, ob die Zeiten, in denen die moderne Arbeitsgesellschaft noch das unwidersprochene Leitbild darstellte, endgültig vorbei sind“, sagt Eckert.

Durch die sich rasch verändernde demografische Situation – eine immer höhere Lebenserwartung auf der einen Seite, und eine geringe Fertilität sowie neue Lebensformen Alleinerziehender, die Kind und Beruf vereinen müssen, auf der anderen Seite – hat die Diskussion um eine verlängerte Lebensarbeitszeit wieder an Aktualität gewonnen. „Mit dem Fokus auf Arbeit, Alter und sozialer Gerechtigkeit wird vom Kolleg erstmals ein Themenkomplex angesprochen, der gegenwärtig insbesondere in den permanent alternden Industriegesellschaften sehr intensiv und kontrovers diskutiert wird. Bisher ist diese Thematik vergleichend, in globaler Perspektive und historischer Tiefe kaum systematisch bearbeitet worden“, sagt Eckert.

Der Forschung seines neuen Kollegs liegt die Hypothese zugrunde, dass die Durchsetzung von Kapitalismus, Industrialisierung und Sozialstaat zumindest im Westen das Verhältnis von Arbeit und Lebenslauf grundsätzlich geändert hat. Vergleiche mit außereuropäischen Gesellschaften sind notwendig, um diese Hypothese zu prüfen und zu erläutern.

Wie stark ist beispielsweise die Verteilung von Lebenschancen durch Arbeit determiniert? Welche Rolle spielt die Kulturzugehörigkeit, das Geschlecht, das Alter oder die soziale Schicht?

Zu den zentralen Anliegen des Kollegs gehört es, Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen und Herkunft, die in der Regel nicht miteinander in Dialog treten, ein Forum zum wissenschaftlichen Austausch zu verschaffen und überdies die Kooperation zwischen etablierten und jüngeren Forscherinnen und Forschern zu fördern. Die gezielte Einladung von ausgewiesenen Kollegen insbesondere aus Afrika und Asien gehört zu den Grundpfeilern des Kollegs.

„Damit ist keineswegs die Vorstellung verbunden, dass Afrikaner oder Japaner per se besser geeignet seien, über ’ihre’ Region und Kultur zur forschen“, sagt Andreas Eckert. „Da sich Wissenschaft kulturabhängig entwickelt, scheint es bei der Anerkennung neuer Ideen besonders wichtig, Wissenschaftler einzubeziehen, die oft hohe gesellschaftliche, politische oder kulturelle Barrieren überwinden mussten, um gleichberechtigt mitreden zu können. “

Das Kolleg empfängt jährlich rund zehn Fellows, die Workshops, internationale Konferenzen und Sommerschulen organisieren und ihre Forschungen überdies an verschiedenen Berliner Institutionen zur Diskussion stellen. Am 10. November 2009 findet die offizielle Eröffnung des Kollegs mit Gästen aus Wissenschaft und Politik in der Georgenstraße 23 statt.

Von André Winkel

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel externer Link vom 11.10.2009)


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