Stellungnahmen 30.07.25
Stellungnahme der BAG WfbM zum SZ-Artikel „Wie Firmen Inklusion vermeiden – und davon profitieren“ vom 24.07.2025
In dem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 24. Juli 2025 wird die Anrechenbarkeit von Werkstattaufträgen auf die gesetzlich vorgesehene Ausgleichsabgabe kritisch dargestellt. Aus Sicht der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) greift diese Darstellung zu kurz und lässt zentrale Aspekte außer Acht, die für ein sachgerechtes Gesamtbild notwendig sind.

Die Möglichkeit für Unternehmen, durch Aufträge an anerkannte Werkstätten einen Teil ihrer Ausgleichsabgabe zu reduzieren, ist kein „Schlupfloch“, sondern ein vom Gesetzgeber bewusst eingeführter Mechanismus. Ziel ist es, Unternehmen zur Zusammenarbeit mit Werkstätten zu motivieren und gleichzeitig die wirtschaftliche Grundlage der Werkstätten zu sichern. Ein Wegfall der Anrechenbarkeit von Werkstattaufträgen auf die Ausgleichsabgabe würde nicht wenige Werkstätten und damit auch die berufliche Teilhabe vieler Menschen mit Behinderung gefährden.

Zum Umfang der tatsächlichen erfolgten Anrechnung von Werkstattaufträgen auf die Ausgleichsabgabe lagen jedoch bislang keine Daten vor. Vor dem Hintergrund sah es die BAG WfbM als zwingend notwendig an, anhand einer validen Datenbasis mögliche Konsequenzen aufzuzeigen, die aus der geplanten Streichung der Anrechnung von Werkstattaufträgen auf die Ausgleichsabgabe resultieren würden. Der Verband hat deshalb eine wissenschaftliche Expertise bei dem Wirtschaftsforscher und Politikberater Dr. Bruno Kaltenborn in Auftrag gegeben. Die Expertise wurde bereits im April 2025 unter anderem auf der Website der BAG WfbM veröffentlicht, fand jedoch keinen Eingang in den aktuellen Bericht der SZ.

In der Expertise von Dr. Bruno Kaltenborn wird das angerechnete Volumen der Werkstattaufträge auf die Ausgleichsabgabe anhand der jährlichen Beschäftigungsstatistik schwerbehinderter Menschen der Bundesagentur für Arbeit und der Einnahmestatistik der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen aus dem Jahr 2022 geschätzt.
  • Die Zahl der unbesetzten Pflichtarbeitsarbeitsplätze stieg weitgehend kontinuierlich von knapp 254.000 im Jahr 2012 auf mehr als 325.000 im Jahr 2022.
  • Im Jahr 2022 wurden ohne das öffentlich finanzierte Arbeitsförderungsgeld rund 606 Millionen Euro an Arbeitsentgelten an behinderte Menschen im Arbeitsbereich von Werkstätten gezahlt.
  • Im Jahr 2022 wurde das Volumen der Ausgleichsabgabe durch die Anrechnung von Werkstattaufträgen um rund 91 Millionen Euro vermindert. Bezogen auf diese Summe war im Jahr 2022 rund 30 Prozent des Auftragsvolumens an Werkstätten mit einer Anrechnung auf die Ausgleichsabgabe verbunden. Das bedeutet: Indirekt werden mit der Möglichkeit der Anrechnung auf die Ausgleichsabgabe rund 30 Prozent der Arbeitsentgelte der Werkstätten finanziert. Es könnten also durch die Streichung der Anrechnung künftig Werkstattaufträge wegfallen, durch die im Extremfall 30 Prozent der Arbeitsentgelte der Werkstattbeschäftigten finanziert werden.
  • Die Möglichkeit für Unternehmen, mit der Übernahme von Werkstattbeschäftigten ihre Beschäftigungspflicht zu erfüllen, ist beschränkt auf die Werkstattbeschäftigten, die auch schwerbehindert sind. Unter den ungefähr vier Fünftel aller Werkstattbeschäftigten im Eingangs- und Berufsbildungsbereich, für die die Bundesagentur für Arbeit Rehabilitationsträger ist, hatten in den letzten Jahren lediglich rund 60 Prozent eine anerkannte Schwerbehinderung.
Nachteilsausgleich erhalten und Teilnahme am Wettbewerb ermöglichen

Werkstätten haben einen strukturellen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Unternehmen. Dieser Wettbewerbsnachteil ergibt sich zum einen aus einer reduzierten Produktivität und zum anderen aus einem deutlich höheren Aufwand für die Vorhaltung einer auf die Belange von Menschen mit Behinderungen zugeschnittenen Arbeitsinfrastruktur.

Es ist nicht zu erwarten, dass Unternehmen durch eine Streichung der Anrechnung von Werkstattaufträgen auf die Ausgleichsabgabe mehr Werkstattbeschäftigte einstellen werden.

Ein Entfallen der Anrechnung von Werkstattaufträgen auf die Ausgleichsabgabe würde zudem negative Auswirkungen auf die Arbeitsmarktnähe und die Entgelte der Werkstattbeschäftigten haben. Durch eine Streichung der Anrechnung von Werkstattaufträgen auf die Ausgleichsabgabe könnten zukünftig Werkstattaufträge ganz oder teilweise wegfallen, durch die 30 Prozent der Entgelte der Werkstattbeschäftigten getragen werden.

Werkstätten erfüllen einen gesetzlich definierten Auftrag: Sie bieten Menschen mit Behinderungen, die aktuell nicht oder noch nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, eine geeignete berufliche Bildung und eine angemessene Beschäftigung. Dies schließt individuelle Förderung, Qualifizierung und in geeigneten Fällen auch Übergänge in den allgemeinen Arbeitsmarkt ein. Die niedrigen Vermittlungszahlen in den allgemeinen Arbeitsmarkt sind bekannt, spiegeln aber auch die strukturellen Herausforderungen wider – etwa bei der Schaffung passender Arbeitsplätze, der erforderlichen Unterstützung im Betrieb sowie gesellschaftlichen und betrieblichen Vorbehalten.

Die im Artikel der Süddeutschen Zeitung angesprochene Höhe des Entgelts in Werkstätten ist ebenfalls seit mehreren Jahren Gegenstand fachlicher und politischer Diskussionen. Werkstätten und ihre Interessenvertretungen sprechen sich ausdrücklich für eine Weiterentwicklung des Entgeltsystems aus. Allerdings erfordert dies eine umfassende gesetzliche Reform, die auch Fragen der Finanzierung, Sozialversicherung und Einkommensanrechnung berücksichtigt.

Eine differenzierte Weiterentwicklung der Werkstattstrukturen ist notwendig und wird aktiv von der BAG WfbM und ihren Mitgliedern unterstützt. Dazu gehören unter anderem die Ausweitung von Außenarbeitsplätzen, der Ausbau des Budgets für Arbeit sowie die Stärkung von Übergängen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt – immer unter Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse sowie Wünsche der Beschäftigten. Eine einfache Gegenüberstellung von „Werkstatt oder Inklusion“ wird dieser Realität nicht gerecht. Die Annahme, ein Verzicht auf die finanzielle Förderung von Werkstätten würde zu mehr Inklusion in der Arbeitswelt in Deutschland führen, ist eine nicht valide Hypothese.

Die im SZ-Artikel mitschwingende Botschaft, Werkstätten seien ein Hindernis für Inklusion, weist die BAG WfbM entschieden zurück. Werkstätten für behinderte Menschen sind ein wichtiger Bestandteil des inklusiven Arbeitsmarkts in Deutschland. Ihre pauschale Diskreditierung würde die Situation vieler Menschen, insbesondere derer mit hohem Unterstützungsbedarf verschlechtern. Ziel muss es sein, Inklusion auszubauen – mit realistischen Rahmenbedingungen, tragfähigen Konzepten und in enger Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure.

Die BAG WfbM hätte es begrüßt, wenn ihre Perspektive und fachliche Expertise im Rahmen der Berichterstattung Berücksichtigung gefunden hätten. Eine ausgewogene Darstellung wäre im Sinne einer konstruktiven öffentlichen Debatte über die Zukunft beruflicher Teilhabe in Deutschland wünschenswert gewesen.


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