Arbeitswelt 08.10.08
Teilnehmer im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich sind voll erwerbsgemindert
Seit einigen Monaten tauchen immer wieder Fälle auf, in denen Werkstattbeschäftigte im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich aufgefordert werden, ihren Antrag auf Leistungen der Grundsicherung nicht beim Sozialamt (d. h. nach dem 4. Kapitel des SGB XII) zu beantragen, sondern sie werden auf die Argen und optierenden Kommunen für Leistungen nach dem SGB II verwiesen, die sogenannten Hartz IV-Leistungen.

Waren es zunächst Fälle aus dem kommunalisierten Baden-Württemberg, folgten ähnliche Problemstellungen aus Berlin und inzwischen auch aus Hessen.

Hintergrund ist wohl eine mißverständliche Dienstanweisung der Bundesagentur, in der davon ausgegangen wird, daß bei Teilnehmern im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich nicht automatisch vom Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung ausgegangen werden kann. Demzufolge unterstellen die Behörden hier Erwerbsfähigkeit (bis zur Darlegung des Gegenteils) und verweisen dementsprechend auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II.

Den Verfassern der Schreiben in Bundesagentur und Sozialbehörden scheint dabei der gesetzliche Kontext des § 45 Absatz 1 Zf. 2 SGB XII unbekannt zu sein.

Nach dieser Vorschrift greift mit der Stellungnahme des Fachausschusses vor Aufnahme in das Eingangsverfahren (nach § 2 WVO) und bei Aufnahme in den Berufsbildungsbereich (nach § 3 WVO) bereits die gesetzliche Fiktion der vollen Erwerbsminderung und damit der Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Mit Einführung des SGB XII hat der Gesetzgeber diese Vorschrift explizit eingeführt, um eine Verfahrensabkürzung für Teilnehmer in Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich herbeizuführen. Die momentanen Bestrebungen gehen damit deutlich hinter den Stand vor Einführung des SGB XII zurück.

Im Übrigen gehen sowohl die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger (BAGüS) als auch die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage des behindertenpolitischen Sprechers der Grünen, Markus Kurth, davon aus, daß eine Zuständigkeit des SGB II nicht in Betracht kommt: Auch Teilnehmer im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich sind voll erwerbsgemindert.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) geht allerdings davon aus, daß in diesen Fällen Leistungen nach dem 3. Buch des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt -d. h. klassische Sozialhilfe) in Betracht kommen. Gleichwohl sollen entsprechende Informationen zum Vorliegen der vollen Erwerbsminderung an BA und Sozialbehörden weitergegeben werden.

Die BAGüS macht allerdings deutlich, daß sich Leistungen in einer Werkstatt und Leistungen nach dem SGB II ausschließen. Deshalb ist in jedem Falle darauf zu achten, daß die Teilnehmer nicht ins SGB II „verschoben“ werden. Die Unterstellung einer Erwerbsfähigkeit hätte zur Folge, daß neben den restriktiveren Leistungen der Grundsicherung auch nicht einschätzbare Konsequenzen für den Status der Teilnehmer zu befürchten wären. Die Maßnahmen im Berufsbildungsbereich nach dem SGB III wären fragwürdig, eine Übernahme in den Arbeitsbereich der Werkstatt würde sich nach den gegenwärtigen Auffassungen der Sozialhilfeträger ausschließen.

Die BAG WfbM empfiehlt den Betroffenen daher, in jedem Falle Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII zu beantragen. Ablehnenden Bescheiden oder dem Versuch der Verschiebung in Richtung SGB II sollte in jedem Fall mit Widersprüchen begegnet werden.


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